Die „Grande Dame“ hat Sorgen

Landshuter Zeitung | Meinung und Politik | 11.05.2016Die frühere FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher wird heute 95 Jahre altDie FDP habe wieder „gute Ansätze“, sagt Hildegard Hamm-Brücher. Das reicht ihr aber noch nicht. (Archiv)Von Ralf MüllerHätte es die Grünen schon mit der Gründung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben, vielleicht hätte Hildegard Hamm-Brücher nicht als „Grande Dame“ der Liberalen Geschichte gemacht, sondern als grünes Urgestein. Aber jetzt, zu ihrem 95. Geburtstag, nähert sie sich der FDP wieder an, die sie 2002 verlassen hatte.Ja, die FDP sei wieder in Kommen, sagt Hildegard Hamm-Brücher. Sie habe inzwischen „gute Ansätze“. Den neuen Parteichef Christian Lindner schätzt sie durchaus. Aber wieder ein gelbes Parteibuch zu beantragen, das kommt ihr nicht in den Sinn. Es sei für eine Umarmung noch zu früh. Ihr Hauptbestreben mit knapp 95 Jahren ist ohnehin ein anderes: „Dass es mir bis zum Ende einigermaßen gut geht.“Sehr gut geht es ihr nicht mehr. Zwei Oberschenkelhalsbrüche und Gleichgewichtsstörungen haben sie gebrechlich gemacht. Nach einem großen öffentlichen Appell zum 95. Geburtstag ist ihr ebenso wenig wie nach Feiern und Reden. Sie flüchtet vor dem großen Tag aus ihrer Wohnung in München-Harlaching.Hamm-Brücher war nie der wirtschaftsliberale Ansatz der FDP wichtig, sondern Gesinnungsliberalität und vor allem das Einstehen gegen Neonazismus und allem, was damit zusammenhängt. Weil ihre Großeltern Juden waren, wurde die 1921 in Essen geborene und in Berlin aufgewachsene Tochter des damals bekannten Juristen Paul Brücher nach den Rassegesetzen der Nazis als „Halbjüdin“ eingestuft.Nach dem frühen Tod ihrer Eltern kümmerte sich ihre Großmutter in Dresden um das Mädchen. Hildegard Brücher musste erleben, wie die geliebte Großmutter von den Nazis schikaniert wurde, bis sie 1942 Selbstmord beging. Der Nobelpreisträger Heinrich Wieland sorgte dafür, dass die junge Frau Chemie studieren und 1945 promovieren konnte.Die Nazi-Gewaltherrschaft prägte das politische Wirken von Hildegard Hamm-Brücher, die 1948 auf der Liste der FDP als jüngste Frau in den Münchner Stadtrat gewählt wurde. Es folgten Mandate als bayerische Landtagsabgeordnete, dann als Bundestagsabgeordnete. Sie war Staatssekretärin in Hessen, Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium und im Auswärtigen Amt. Bei der Bundespräsidentenwahl 1994 trat sie nach dem zweiten Wahlgang nicht mehr an.Die Anfälligkeit junger Menschen für nationalsozialistisches Gedankengut, die Geschichtsvergessenheit vieler junger Menschen und nicht zuletzt der durch FDP-Vize-Chef Möllemann ausgelöste Rechtsdrall ihrer ehemaligen Partei FDP machen der alten Dame bis heute zu schaffen. Man müsse fürchten, „dass da eine ganze Menge nachgewachsen ist“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa.Wäre Hildegard Hamm-Brücher politisch noch aktiv, wäre vielleicht eine Annäherung zwischen FDP und Grünen in Gang gekommen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist eine Figur aus der aktuellen deutschen Politikszene, die ihr imponiert: Seine Grundideen, sagte sie einmal, seien „absolut richtig“. 


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