Klöckner in der Kritik Lebensmittelverschwendung nimmt drastisch zu
Sammeltonne mit weggeworfenen Lebensmitteln
Aktuell landen rund 1,6 Milliarden Tonnen Lebensmittel pro Jahr im Müll – im Wert von 1,2 Billionen Euro. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group rechnet damit, dass – statt einer deutlichen Reduzierung – das Gewicht der entsorgten Lebensmittel in den nächsten zwölf Jahren auf 2,1 Milliarden Tonnen ansteigt.
Die Verantwortung dafür tragen den BCG-Autoren zufolge Landwirtschaft und Industrie: Die meisten Lebensmittel werden demnach in der Produktion, Lagerung und Verarbeitung weggeworfen. Die Verbraucher sind nur für rund 22 Prozent der entsorgten Nahrungsmittel verantwortlich.
In Deutschland will das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Lebensmittelverschwendung bekämpfen. Mit der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ konzentriert sich das Ministerium vor allem auf die Aufklärung von Konsumenten –ungeachtet der neuen Studienergebnisse. Das Ministerium zeichnet zwar regelmäßig Unternehmen für innovative Konzepte gegen Nahrungsmittelabfälle aus, vielen Politikern geht das aber nicht weit genug.
„Seit Jahren fordern wir eine Zielmarkenvereinbarung mit der Wirtschaft zur Minimierung der Lebensmittelverschwendung, doch bis heute ist das nicht passiert“, sagte Ursula Schulte. Die SPD-Politikerin wirft Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) vor, nicht genügend Daten über die Lebensmittelabfälle in Betrieben zu ermitteln und sich stattdessen zu sehr auf Verbraucher zu konzentrieren.
Auch der Bundesrechnungshof kritisiert das Vorgehen des Ministeriums. „Das BMEL hat eine öffentlichkeitswirksame Kampagne gestartet, obwohl es weder die tatsächliche Abfallsituation in Deutschland noch die Ursachen für die Abfallmenge kannte“, heißt es in einem Bericht der Behörde. Das Ministerium verweist zwar auf eine Studie der Universität Stuttgart aus dem Jahr 2012, die zu dem Schluss kommt, dass Privathaushalte für 61 Prozent der weggeworfenen Lebensmittel in Deutschland verantwortlich sind.
Der Bundesrechnungshof zweifelt jedoch an dem Ergebnis. Die Projektlaufzeit sei zu kurz gewesen und es hätten zusätzliche Daten erhoben werden müssen. Insbesondere der Einzelhandel habe die Erhebungen zur Studie nicht ausreichend unterstützt. Aufgrund der unsicheren Datenlage hätte die Höhe der Abfallmengen von privaten Haushalten, Großverbrauchern sowie Handel und Industrie nur ungenau festgestellt werden können.
SPD-Politikerin Schulte will daher die Anfertigung weiterer Studien beantragen. „Auf dieser Basis können dann die Einsparpotenziale auf allen Stufen der Kette ermittelt und genutzt werden“, so die Bundestagsabgeordnete. Renate Künast von den Grünen stimmt dem zu und fordert eine nationale Strategie gegen Lebensmittelverschwendung mit „Offenlegungspflichten insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel, um konkrete Zahlen über die Lebensmittelverluste zu bekommen“. Sowohl Künast als auch Schulte wollen mithilfe neuer Daten Zielvereinbarungen mit Unternehmen treffen.
Die FPD-Politikerin Nicole Bauer will die Lebensmittelverschwendung bekämpfen, indem sie sich für ein gerechtes Preisverhältnis von verschiedenen Verpackungsgrößen einsetzt. „Wenn die 200-Gramm-Packung genau so viel kostet wie die 50-Gramm-Packung, liefert das falsche Anreize“, so die Abgeordnete. Auch auf EU-Ebene müssten zudem Verordnungen überprüft werden, die Lebensmittelverschwendung beförderten. Zudem solle das Thema auch in den Schulen behandelt werden.
Damit die Menge der weltweiten Nahrungsmittelabfälle bis 2030 halbiert werden kann, müssten sich der Boston Consulting Group zufolge Unternehmen, Verbraucher und Politiker gleichermaßen engagieren. Die Kosten, die durch weggeschmissene Lebensmittel verursacht werden, könnten dabei um etwa 700 Milliarden Dollar reduziert werden.